Von A wie Antikörper bis Z wie Zytostatika
ANTIKÖRPER
Alle Zellen des Körpers besitzen typische Oberflächenstrukturen (Antigene) an ihrer Außenseite. Auch Krebszellen verfügen über diese Merkmale, sie sind allerdings oft verändert oder weniger stark ausgeprägt als bei normalen Zellen. Nach langen Jahren der Forschung ist es mittlerweile gelungen, Substanzen herzustellen, die spezifisch an die Oberflächenstrukturen der Krebszellen “andocken”. Das Prinzip der Antikörpertherapie bei Krebserkrankungen beruht auf der gezielten Erkennung und Vernichtung von Krebszellen mithilfe spezifischer, vom Immunsystem produzierter Eiweißstoffe, den Antikörpern. Die Antikörper erkennen bestimmte Oberflächenstrukturen der Krebszellen. Sie können sich daran anlagern und so Zellen des menschlichen Immunsystems anlocken, die die Krebszellen dann angreifen. Die Bindung der Antikörper an die Zelloberfläche kann in vielen Fällen direkt den Tod dieser Zellen auslösen (Apoptose).
Rituximab war einer der ersten Wirkstoffe einer neuen Generation von Medikamenten in der Immuntherapie und gilt daher als Vorreiter der gezielten Krebstherapie: bei Rituximab handelt es sich – vereinfacht ausgedrückt – um ein Eiweiß, das gezielt Krebszellen angreift und vernichtet. Genauer betrachtet ist Rituximab ein gentechnisch hergestellter Antikörper, welcher sich aus einem Antikörper der Maus und einem menschlichen Antikörpermolekül zusammensetzt. Der variable Teil des Antikörpers richtet sich gegen das auf nahezu allen B-Zellen vorhandene Oberflächenmolekül CD20. Bei einer ganzen Anzahl verschiedener Krebserkrankungen des Blutsystems sind gerade diese B-Zellen von der Entartung betroffen. Durch spezifische Bindung des anti-CD20-Antikörpers werden diese gezielt erreicht und zerstört.
ZYTOSTATIKA
Das Wort “Zytostatikum” kommt aus dem Griechischen “cyto”, die Zelle, und “statik”, anhalten. Darunter versteht man Substanzen, die bei Lebewesen Neoplasien verschiedenster Art (das sind nicht lokalisierte Tumormassen) in ihrem Wachstum hemmen, sie verkleinern und im Idealfall gänzlich zerstören. Kurz: Es sind das Zellwachstum hemmende Substanzen!
Wirkungsweise
Bis vor wenigen Jahren konnten Tumoren nur lokal durch operative Eingriffe entfernt werden. Nichtlokalisierte Tumoren ( z.B.: Leukämie) und Metastasen, das eigentliche Problem der Tumorbehandlung, konnten auf diesem Wege überhaupt nicht erreicht werden. Erst durch die Entwicklung der Zytostatika wurde dies ermöglicht!
Zytostatika schädigen proliferierende Zellen, da Zellen während des Wachstums am empfindlichsten sind. In dieser Phase reagieren die Chemotherapeutika sehr gerne mit Phosphatgruppen, z.B. unsere DNS. Sie erzeugen eine Querverbindung der Doppelstränge indem sie zwei Guaninbasen zusammenschließen. Die Folge ist ein Bruch der DNA! Eine neue Zelle kann ohne genetische Information nicht entstehen! Um den gesamten Tumor zu entfernen, muss die Chemptherapie so lange angewendet werden, bis jede Zelle mindestens einmal einen Teilungszyklus durchlaufen hat und so letal geschädigt werden konnte. Bei Tumoren mit hohen Wachstumsfraktionen besteht somit auch eine höhere Heilungschance!
Sehr wichtig für eine einschlagende Wirkung der Therapie und stetige Reduktion des Tumors ist ein optimales Timing. Die Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors ist dabei von Bedeutung. Mit ihr wird die Häufigkeit der Chemotherapieschübe und das Intervall zwischen diesen abgestimmt. Würde der Abstand zwischen den Injektionen bzw. Einnahmen beispielsweise um das Doppelte zu lang sein, käme es zu keiner Verbesserung des Zustandes für den Patienten. Denn es wächst gleich viel Tumormasse nach, wie zerstört wurde.
Nebenwirkungen
Chemotherapeutika sind als das Zellwachstum hemmende Substanzen definiert. Von diesem Vorgang sind leider auch gesunde Zellen nicht ausgeschlossen. Sich häufig teilende Zellen, wie zum Beispiel die der Schleimhäute, des Knochenmarks, des Magen-Darm-Trakts und der Haarwurzeln werden genauso zerstört, wie die des Tumors. Die Folgen sind Schleimhautulzerationen, Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall oder Knochenmarksdepressionen. Durch Letztere wird die Bildung der Blutstammzellen verhindert. In weiterer Folge kommt es zu Anämie, Leukozytopenie, Thrombozytopenie und einer Verminderung der Abwehrkraft.
Geschichte
Im Jahre 1865 berichtete ein gewisser Lissauer erstmals von einer erfolgreichen Therapie an zwei Patienten, die an Leukämie erkrankt waren. Doch dieser Erfolg geriet schnell in Vergessenheit. Erst nach dem dem 2. Weltkrieg wurde ein Fundament für die heutige zytostatische Therapie geschaffen – mit der Einführung des Stickstoff-Lost. Dieser, ursprünglich als Kampfgas entwickelte Stoff, weist in umgewandelter Form eine hohe Toxizität in der Zelle auf. Diese Entdeckung trieb Forscher nun an. Sie wollten die sich noch im experimentellen Stadium befindliche Therapie ausreifen und damit Erfolge erzielen. Durch unermüdliches Forschen kam es dann etwa 1960 zu einem durchschlagenden Erfolg: eine einsetzbare Therapie (Polytherapie) war erfunden worden! Diese weist eine unterschiedliche Effektivität in den verschiedenen Phasen des Zellzyklus auf und ermöglicht so eine optimale Hemmung der Wachstumsfraktion einer sich proliferierenden Zelle.
Bis heute wurde eine fast unübersehbare Zahl an zytostatischen Substanzen synthetisiert – manchmal mehr oder weniger auch durch Zufall. Sogar auf das am häufigsten und wirkvollsten eingesetzte Zytostatikum “Cisplatin” stießen Forscher “unabsichtlich”. Im Jahre 1844 synthetisierte M. PEYRONE erstmalig diese organische Verbindung und nannte sie “Peyrone´s chloride”. (Dabei handelt es sich um Platin.) 1893 gelang es einem weiteren Chemiker (Alfred Werner) die Struktur zu entschlüsseln. Doch über die Wirkung war man sich weiterhin nicht bewusst. 1960 lieferte Wissenschaftlern dann ein Experiment endlich Aufschluss: Man suchte nach einem Wirkstoff gegen das Wachstum von Bakterien der Dickdarmflora (“Escherichia coli”) in einer Zellkultur. Im Zuge dessen überprüfte man den Einfluss von elektrischen Feldern (Strom, Spannung) auf diese Bakterien. Dazu steckte man Platinelektroden in die Zellkultur und schloss sie an eine Spannung an. Das Resultat dieses Experiments war erfreulich! Das Wachstum der Bakterien konnte gestoppt werden. Umso erstaunter war man allerdings, als das Wachstum auch nach Abschalten der Spannung noch ausblieb. Später stellte sich heraus, dass der Grund für das verminderte Wachstum nicht das eletkrische Feld, sondern Peyrone´s entdecktes Platin war, welches man schließlich “CISPLATIN” nannte. Im Zuge dieser Erkenntnisse setzte man Cisplatin auch gegen das Zellwachstum von Tumoren ein und erzielte beträchtliche Erfolge. Im Jahre 1978 konnte dieser Wirkstoff erstmalig an Menschen angewendet werden und ist heute eines der am häufigsten und wirkvollsten eingesetzten Zytostatika.